Colonia Dignidad: Film, Fiktion und dunkles Geheimnis

"Colonia Dignidad" läuft heute in den deutschen Kinos an. Der Film erzählt von fiktionalen Ereignissen einer sehr realen, dunklen Vergangenheit, die Chile und Deutschland lieber vergessen wollen.

``Colonia Dignidad - Es gibt kein Zurück`` ©Gettyimages

Heute kommt „Colonia Dignidad“ in die deutschen Kinos. In den Hauptrollen: Emma Watson und Daniel Brühl. Daniel (Brühl) ist junger, deutscher Fotograf in Chile, Lena (Watson) ist seine Freundin, die ihn ausgerechnet in den ersten Septemberttagen des Jahres 1973 besucht. Das ist die Zeit, in der General Pinochet mit Unterstützung der USA den chilenischen Präsidenten Salvatore Allende ermorden lässt und das Land in eine Militärdiktatur führt.

In Santiago bricht Chaos aus, Anhänger Allendes werden zusammengetrieben, ermordet, verschleppt. Auch Daniel ist plötzlich verschwunden und Lena macht sich auf die Suche. Ein geheimes Folterlager solle es geben, erfährt sie von Daniels Freunden, auf dem Gebiet einer geheimnisvollen deutschen Kolonie. Ein Deutscher habe dort eine Sekte gegründet, sie solle sich fernhalten, wenn ihr das Leben lieb sei, sagt man ihr.

Aber Lena hält sich nicht fern. In der Kolonie angekommen, unterwirft sie sich deren grausamen Regeln, um Daniel zu finden. Als sie ihn tatsächlich ausfindig machen kann, planen sie ihre Flucht. Die allerdings ist noch niemandem geglückt.

Soweit die Fiktion. In unserer Wirklichkeit allerdings - denn Colonia Dignidad wie auch das Folterlager gab es tatsächlich - konnte einer der Jungen fliehen. Aber das ist nicht der Anfang der Geschichte, deren dunkle Geheimnisse und politische Verstrickungen mit Start des Kinofilms möglicherweise mehr Aufmerksamkeit bekommen, als jemals zuvor. Denn begonnen hat alles viel früher.

Colonia Dignidad: Wie alles begann

Ein Gebäude der ``Villa Baviera``, früher bekannt als Colonia Dignidad ©Gettyimages

Vor 60 Jahren gründet ein sadistischer Ex-Hilfsarbeiter in Süddeutschland die Private Sociale Mission e.V., ein Heim für gefährdete Jugendliche. Paul Schäfer heißt er, die evangelische Kirche hat ihn ein Jahr zuvor "diskret" entlassen, was bedeutet, dass Schäfer sich für das, was er getan hat, nicht vor Gericht verantworten muss. Die Protestanten schweigen lieber. Missbrauch und Misshandlungen von Kindern werfen halt immer ein schlechtes Licht auf institutionalisierte Glaubensgemeinschaften. Und wer will schon miese Publicity.

Paul Schäfer nutzt die Chance, die ihm die Kirche gibt und erweist sich als höchst geschäftstüchtig. Aber als 1961 zwei der Jungen seines Heims ihn anklagen, sie vergewaltigt zu haben, wird Schäfer per Haftbefehl gesucht. Er taucht unter und die Bundesregierung kauft das Anwesen für 900.000 DM vom Trägerverein.

Diese freundliche Unterstützung der Regierung ermöglicht es Schäfer, sich nach Chile abzusetzen. Für ein großes Anwesen im Süden Chiles reicht das Geld auch noch. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion werden dann auch die Zeugen des Missbrauchs, 150 Heimkinder, per Chartermaschine in die neue Heimat ausgeflogen. "Colonia Dignidad" nennt Schäfer die Enklave, was soviel bedeutet wie "Kolonie der Würde".

Straßen, Schule und Krankenhaus: Es geht voran

Die Deutschen bewirtschaften das Land, es gibt eine Schule und ein Krankenhaus, in dem die Leute aus der Gegend  kostenlos behandelt werden, sie bauen Straßen, backen Brot in der eigenen Bäckerei und unterhalten ein Restaurant. "Arbeit ist Gottesdienst" sagt Paul Schäfer und meint damit, dass niemand für die 16-Stunden-Tage entlohnt wird.

Es gibt keine Familien in Colonia Dignidad. Männer, Frauen und Kinder leben getrennt voneinander, Privatgespräche sind untersagt, gebeichtet wird - aber nur bei Schäfer persönlich, der sich immer mit zwei Jungen umgibt. Einer von beiden muss bei ihm übernachten.

Einer kann entkommen

1966 dann flieht ein Junge aus der Kolonie. Wolfgang Müller (heute Kneese) berichtet von Isolation, Elektroschocks, sexuellem Missbrauch, körperlicher und seelischer Gewalt. Aber nichts geschieht.

Niemand bietet dem sadistischen Autokraten die Stirn. Auch als Amnesty International 1977 die Welt auf Folter, Isolation, Missbrauch und psychische Konditionierung in der Kolonie aufmerksam macht, bleibt Schäfer unbehelligt. Während der Militärdiktatur in Chile dient das durch Stacheldraht, Palisaden und Wachtürme abgeschirmte Gebiet als Folterlager für Regimegegner. Proteste von Angehörigen Verschwundener verhallen.

Proteste gegen die Colonia Dignidad in Chile ©Gettyimages

Schäfer hat viele namhafte Unterstützer in Deutschland, er unterhält gute Kontakte zur bayrischen Staatskanzlei des damaligen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß. Mehrere CSU-Politiker, ein Waffenhändler wie auch der deutsche Botschafter in Chile protegieren ihn. 120 Gründungsmitglieder hat der deutsche "Freundeskreis" der Kolonie. Erst 2005 wird Schäfer verhaftet.

Diese hässliche und für die deutsche Politik bestenfalls unrühmliche Seite der Geschichte reißt der Film an, thematisiert sie aber nicht. Es bleibt bei Schlaglichtern, der Fokus liegt auf der Escape-Story des jungen Paares. Vielleicht schlägt der Film Wellen in der Öffentlichkeit. Und vielleicht erreichen die Wellen auch die damals Verantwortlichen. Aber ob sie auch nass werden oder gar untergehen? Wir werden sehen.

geschrieben am 18.02.2016
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