08.46 Uhr. Es klingelt an der Tür. Gerade noch in Gedanken verloren, schrecke ich zusammen. Was war denn heute? Ach ja, der Maler. Etwas schwerfällig bewege ich mich in Richtung Tür. Da klingelt es auch schon wieder. „Ich komme ja schon.“
Klein ist er, der Malermeister. Seltsame Kurzhaarfrisur, Brille. Freundlicher Gesichtsausdruck. Er ist wohl so um Mitte 30. Grinst mich an.
„Tach, ick bin der Maler. Watt soll’n hier eigentlich jemacht wern?“ Oh Gott. Na, wenn der das nicht weiß …
„Ähm, letzte Woche wurden hier die Gasrohre ausgetauscht, und ein paar Tapetenstücke wurden erneuert, die jetzt über…“
„Ach jenau“, unterbricht er mich. „Jetzt habbicket wieda.“ Na, das beruhigt mich jetzt fast schon ein bisschen.
Ich muss dringend zurück zum Schreibtisch, jede Menge Arbeit, die da noch wartet. Na, warten ist eigentlich ein viel zu milder Ausdruck. Nein, sie wartet nicht. Sie lauert. Wah.
Ich tappe in die Küche, setze Wasser für einen Tee auf. Denke an den Auftraggeber, atme durch ...
„Sind Sie Klavierspielerin von Beruf?“, ruft es aus dem Wohnzimmer. Ich wähnte den Maler eigentlich im Flur und schrecke auf.
„Äh, nein. Ich bin Journalistin.“
„Ach sooo, na ick frach wegen den Klavier da.“ Er zeigt auf mein wunderschönes, schwarz poliertes Rönisch.
„Ja ... Sorry. Ich muss jetzt mal weitermachen, ich hab ziemlichen Zei ...“
„Darf ick ma fragen, wie alt Sie sind?“ Na, die Frage ist doch ein bisschen intim. Aber ich habe ja kein Problem mit meinem Alter. Noch nicht.
„Klar dürfen Sie.“ Ich warte, dass er fragt. Ein bisschen bedröppelt schaut er aus der Wäsche. Noch ein tiefes Seufzen meinerseits. Ich verrate mein Alter.
„Oh, sehen aber gar nicht so aus! Ehrlich, ick sach dit nich nur so.“ Natürlich nicht.
„Danke.“
„Für dit Kompliment hab ick jetz een Kaffee verdient, wa?“ Er kichert. Ich finde das nicht komisch, verbietet mir doch meine Gastfreundschaft, nein zu sagen. Mist!
Der Maler macht sich im Flur an die Arbeit. Er schweigt. Wow!
Genau zwei Minuten. Denn als ich ihm den Kaffee bringe, plappert er unentwegt weiter: von seiner zwölfjährigen Ehe, seinen drei Kindern. Die kleine Tochter ist elf, der kleine Sohn ist acht. Seine Große hat zwei Handys und einen Laptop. Und sie wird bald 14. Und dann beginnt sicher auch ihr Sexualleben. In seiner Jugend hätte man damit erst viiiel später begonnen.
Ich schaue mir den Kerl genauer an. Schelmisches Grinsen, selbstsichere Körperhaltung.
„So, ich muss jetzt wirklich weiterarbeiten ...“
„Meene Frau …“, legt er los.
Zwanzig Minuten später verabschiedet er sich. „Schüss!“, ruft er durch die Tür. Und dann ist er weg. Und ich kann mich überhauot nicht mehr konzentrieren.