Ich lasse mich treiben und erreiche die palmengesäumte Seepromenade, die sich kilometerweit an der Drei-Millionen-Metropole entlang zieht. Links fährt ein Pferdewagen an mir vorbei, rechts im Golf von Izmir tuckert ein Boot - vielleicht ist es auf dem Weg nach Karsiyaka, einem Viertel auf der anderen Seite.
Auf einem Fischerstuhl nahe dem Fährhafen sitzt ein Straßenmusiker und spielt mit geschlossenen Augen auf seiner Bağlama, einer Art türkischen Gitarre. Er singt Volkslieder, und fast alle handeln von der Liebe. Ich kenne noch nicht viele türkische Wörter, doch eines ist mir schnell hängengeblieben, weil man es immer und überall hört: âşk - Liebe. Und wer über die Liebe singt, ist hier der Aşık - der Liebende. Der Musiker stimmt das Volkslied "Istanbul" an. Ich bleibe stehen, Melancholie macht sich plötzlich in mir breit, soviel Gefühl liegt in seinem stimmgewaltigen Gesang. Eine Zigeunerfrau kommt auf mich zu. Sie hat ein buntes Kopftuch um ihr schmutziges Gesicht geschlungen. Zähne hat sie nicht mehr viele, aber sie strahlt mich an. Ein Päckchen Taschentücher soll ich ihr abkaufen, ich lehne lächelnd ab. Ironie des Schicksals, denke ich, denn ich bin tatsächlich den Tränen nahe.